Widerworte

Gulaschkanone


Eigentlich war der Ausflug Helgas Idee gewesen. Der Kleinflughafen Schmidtbecke wurde aus Geldern des Regionalstrukturfonds West zu einem Drehkreuz des interstellaren Privatflugverkehrs ausgebaut. Die »Allgemeine Abendzeitung« und der Zweckverband Mittelland hatten das Projekt hochgelobt und die Zukunftsträchtigkeit betont. Die Feierlichkeiten würden kommenden Samstag stattfinden. Es gab eine Hüpfburg, eine Tombola sowie Erbsensuppe aus der Gulaschkanone. Hufnagel hatte Helga auf die winzige Unstimmigkeit im Suppenbereich hingewiesen, aber Helga hatte ihn kleinlich genannt. Und kleinlich wollte Hufnagel auf keinen Fall sein. Er hatte sich vorgenommen, besonders liberal zu urteilen, selbst wenn es aus der Gulaschkanone Linsensuppe geben würde.

Helga hatte sich vor zwei Tagen von Balkanlack-Gerfried getrennt und kam in solchen Fällen gerne auf ihre verschiedenen Exmänner zurück. Das Los hatte Hufnagel getroffen und es war ihm ganz recht gewesen, da zur Zeit die Visa-Abteilung des Moldawischen Generalkonsulats in seiner Wohnung Dienst tat – ein Umstand, der durch einen Rohrbruch im Villenviertel bedingt und seinen engen freundschaftlichen Beziehungen zu Konsul Malakoff geschuldet war. In jedem Fall hatten sich schon am vorherigen Wochenende Wohn- und Dienstbelange in Hufnagels Wohnküche leicht überlappt, als der konsularische Wartebereich für Antragsteller bis vor den Kühlschrank ausgedehnt werden musste, umständehalber und natürlich mit vollem Recht. Also seilte Hufnagel sich flink über das Schlafzimmerfenster in den Hof ab, wo Helga schon wartete. Bei einem fliegenden Händler aus der Warteschlange hatte sie eine Handtasche von Prada für vier Euro erworben und strahlte fröhlich. Es würde ein guter Tag werden.

Am Kleinflughafen spielte die Freiwillige Blaskapelle beschwingte Weisen aus »Frau Luna« und man konnte das Raketentriebwerk des neuartigen Raumgleiters von innen besichtigen. An der zweiten Triebwerksstufe verkauften die Schüler der ansässigen Grundschule Waffeln, die Gulaschkanone servierte dazu Glühwein und Hufnagel ließ sich nichts anmerken.

Eine Hinweistafel »Günstige Resttickets« am Infostand der Interstellaren Flug GmbH zog Hufnagel magisch an. Offenkundig waren Flüge zum Mond am Mittwochvormittag besonders preiswert zu haben. Beim Erwerb von zwei Tickets winkte zudem der kostenlose Eintritt in ein klassisches Orgelkonzert. Seine Mitarbeiterin Frau Knäpplich liebte Orgelmusik und hatte sich im Übrigen um die Durchführung der neuen Abschreibungsverordnung sehr verdient gemacht. Hier lag die Chance des wohlmeinenden und dankbaren Vorgesetzten. Hufnagel erwarb sofort zwei Flugtickets für kommenden Mittwoch, 6:20 Uhr. Ein Faltblatt verriet, dass sie den Flug in einem induzierten Tiefschlaf verbringen und aufgrund der unglaublichen Fluggeschwindigkeit und anderer physikalischer Umstände exakt zur ursprünglichen Abflugzeit wieder zurück sein würden. Das erschien Hufnagel großartig. In einem Anflug von unerwarteter Emotion drückte er Helga einen Kuss auf die Wange. An der Gulaschkanone reichte man jetzt Frankfurter Kranz und Feingebäck und die Welt war schön.

Copyright Frank Osthoff, Lektorat: Michaela Schmolinski