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(Herbst 2021) Während meines Aufenthaltes im Kulturhaus Mestlin im Herbst entstand dieser kleine Text zur Fotostrecke BERTAS REISE von Gerald Sagorski, Fotojournalist und ehemaliger Bildredakteur beim Spiegel. In seiner Arbeit unternimmt das (ausgestopfte) Huhn Berta eine Tour entlang der einstigen deutsch-deutschen Grenze, besucht zum Beispiel die Atomanlage in Gorleben und die alte Eisenbahnbrücke von Dömitz. Ein bravourös-absurdes Abenteuer ganz nach meinem Geschmack. Mit Gerald Sagorskis freundlicher Erlaubnis präsentiere ich Euch hier meinen kleinen Text zusammen mit zwei herrlichen Portraits aus seiner bemerkenswerten und augenzwinkernden Fotoarbeit.

Fotos: Gerald Sagorski (1,2), Thomas Opolka (3). Text und Bild (4): Frank Osthoff. Alle Rechte vorbehalten.

Schreibprojekt TippStelle: Schloß Pillnitz, 23.08.2019

An diesem Wochenende bin ich in Dresden, ein Freund heiratet und ich möchte dabei sein. Um Ressourcenverschwendung zu vermeiden, nutze ich die Gelegenheit für einen verlängerten Aufenthalt im Raum Dresden. Meine Reiseschreibmaschine Gabriele ist natürlich im Handgepäck. Der klappbare TippStellen-Tisch bleibt diesmal daheim: nachdem ich alles, also wirklich alles einschließlich Schreibmaschine, Hocker und Tisch in den Koffer gepackt hatte, war ich zwar sehr stolz, aber nicht mehr imstande gewesen, den Koffer in irgendeiner Weise zu tragen. Geschweige denn in ein Bundesbahngepäcknetz zu hieven. Also reise ich ohne Tisch nach Dresden, nur mein kleiner Falthocker darf mit und ist ganz bestimmt erfreut.

Am Bahnhof Köln schreibe ich mit Elke aus Oranienburg und frage um inspirierende Orte im Raum Dresden an. Elke empfiehlt entweder den Besuch eines für Ortsfremde schwer auszusprechenden Städtchens, dessen Namen ich direkt verdränge oder den Schloßpark von Pillnitz. Pillnitz erscheint mir als Ortsname immer noch hinreichend exotisch und geht mir wesentlich leichter von der Zunge. Pillnitz soll es sein.

Mein erster Tag in Dresden ist gleichzeitig Anreisetag und der emsige Städter unternimmt natürlich trotzdem viel zu viel, einschließlich weitläufigem Stadtgang und einer – zugegeben – eng getakteten nachfolgenden Ticketbuchung für das Politkabarett Herkuleskeule. Alles wunderbar, aber zu viel.

Den zweiten Tag lasse ich definitiv ruhiger angehen. Mit Straßenbahn und Bus und per pedes und erreiche ich am frühen Mittag Pillnitz. Im Schloßpark angekommen, gilt es, einen geeigneten TippStellen-Platz zu bestimmen. Das gestaltet sich einfacher als gedacht: eine Reihe beschatteter Steinbänke auf einer zentralen Sichtachse zum Schloß scheint geradezu auf mich und Gabriele zu warten. Der Platz ist gefunden, ich erstatte Freundin Elke ersten Bericht, klinke mich dann aus dem weltweiten und zumeist unnötigen Netz aus.

Zu meinem Ritual gehört eine penible, büroartige Anordnung von TippStellen-Schild, Stempel, Bleistift, Papier. Es hilft, anzukommen und erzeugt eine arbeitsmäßige Atmosphäre, es fordert Produktivität. 

Die im Großen und Ganzen ziemlich brotlose Kunst des Schreibens verlangt indes immer auch ein Mindestmaß an Marketing. So tippe ich rasch noch einige A6-Kärtchen zur Mitnahme für interessierte Passanten, dann endlich lasse ich den Dingen freien Lauf.

Der Schloßpark von Pillnitz ist auf dieser Seite des Schlosses um sein zentrales Gestaltungselement, den großen Springbrunnen, im Wesentlichen symmetrisch angeordnet. Gerade Linien, Achsen, Alleen. Eine ästhetisch geordnete, nüchterne aber heitere Stimmung. Sonne, Wind, Schatten. Man wünscht sich, dass der Tag nie enden möge. So erkläre ich mir auch den plaudernden Erzählton, der sich rasch einstellt. Dies ist kein Tag für Lyrik, für verknappte, gefeilte Texte. Eher einer für das Entspannte, möglicherweise Schwatzhafte. Er folgt der leicht singenden sächsischen Sprachmelodie, ein Anklang an Land, Leute, Eigenheiten.

Auf dem Weg hierhin fiel mir auf, wie geputzt-geordnet die kleinen Städtchen bei Dresden sind. Wie Bayern, musste ich denken, nur nicht so nervig. Überhaupt viel Freundlichkeit. Der Parkwächter wunderte sich über den mitgebrachten Falthocker, wir kamen ins Gespräch: „Den brauche ich wegen meiner Schreibmaschine.“ – „Ach so, das ist kein Computer?“ – „Nein, eine echte, alte Mechanische.“ – „Toll, dann schreiben Se aber nur Gutes über Pillnitz!“ – „Na, wie könnt‘ ich anders!“

In Dresden hatte ich befürchtet, Gabrieles Klappern könnte die Leute stören. Im Schlosspark vom Pillnitz ist das Gegenteil der Fall. Die mir nahegelegene Steinbank ist meistens besetzt. Das analoge Geklapper scheint die Leute eher zu anzuziehen, möglicherweise zu versöhnen in einer Zeit, in der vieles sonst irgendwie virtuell, nicht dinglich, mithin nicht mehr fassbar ist.

Fotografierende Italiener und, wie so oft, interessierte Kinder. Eine Generation, für die dieses Schreibgerät an ein altertümliches Wundergerät grenzt. Man nähert sich eher zögerlich. Überhaupt ist man eher wohlwollend-zurückhaltend. Ist dieses auch eine sächsische Gemütsfärbung? So weit kenne ich den Menschenschlag noch nicht. Aber ich kann sagen, dass ich mich wohl fühle, entspannt.

Gabriele hat die Eigenheit, mich an die Hand zu nehmen, mir die Republik und die Menschen von neuen Seiten zu zeigen. Wie oft ich wohlwollend angelächelt werde. Ich bin dankbar in vielen Facetten. Es war richtig, den Ort nicht zu zu planen. Elke brachte ihn auf dem silbernen Tablett. Es war richtig, heute früh meine Bedenken nicht überhand gewinnen zu lassen (Würde man mich mit Stuhl und Schreibmaschine in den Park lassen, würde es einen geeigneten Platz geben? Würde, würde, würde…) Dieses Alles-zu-Ende-Denken, dieses Alles-Durchplanen möchte ich für mich nicht nicht mehr. Es fällt mir dennoch mitunter schwer.

So wie ich sonst auch, machen viele Menschen hier im Park Fotos. Zu viele Fotos. Ich nehme mir vor, mehr zu schauen und zu erinnern, weniger zu fotografieren. Und gleich werde ich doch wieder irgendwo ein Foto machen. Ja, ich weiß. Der Mensch ist widersprüchlich und das macht ihn interessant. 

Dresden zieht ein internationales Publikum an. Vorbeiziehende Russen. Ich denke an Elke in der Schule und ihr „Russisches Kabinett“, von dem ich nur das Türschild kenne. Mein Blick schweift auf das Schloss und ich stelle fest, dass ich den Baustil nicht benennen kann. Für Barock ist es wohl nicht barock genug. Ich entscheide mich, es ab sofort Pillnitzer Elb-Barock zu nenne und jeder Zeit glaubhaft zu versichern, dass es diese Stilrichtung ganz sicherlich gibt. Was sollte es auch sonst sein?

Ein Gärtner beginnt mit einem überdimensionalen Motordings die Hecken in der Nähe zu metzeln. Ich diskutiere mit mir selbst, ob das Geräusch als arbeitsromantisch oder als nervig zu bezeichnen sei. Das Gedankenspiel endet nach Verlängerung mit dem Resultat „nervig“, spätestens aber, als der Gärtner noch Verstärkung von einem weiteren mit Motordings ausgerüsteten Kollegen bekommt. 

Ich nehme mir vor, recht bald eine Ode auf die geräuscharme Hand-Heckenschere zu komponieren und die TippStelle für heute zu schließen, als ein sehr freundliches Ehepaar aus dem Erzgebirge ein Gespräch mit mir anfängt. Wir unterhalten uns angeregt, das Gespräch ist ernsthaft, stellenweise durchaus tiefgängig, dann wieder humorvoll. Meine touristische Aufgabe für den Sonntag legen wir gemeinsam mit dem Grünen Gewölbe fest. Die herzliche Offenheit des Gesprächs berührt mich und ich packe sie rasch mit in meinen Rucksack, mein wertvolles Andenken aus Pillnitz.

Lesungen

Termine: Kunsthalle Below. Samstag, 03.08.2019,19 Uhr. Anschrift: Kurze Straße 6, 19399 Below.

Jurte an der Pinnower Schleuse. Samstag, 05.10.2019, 16 Uhr. Anschrift: An der Pinnower
Schleuse 7, 16515 Oranienburg

Bibliothek an St. Theodor. Gastbeitrag im Rahmen der „Abendunterhaltung“. Sonntag, 08.12.2019, 17 Uhr. Burgstraße 42, 51103 Köln-Vingst.

Kunsthalle Below, Lesung im Rahmen des Projektes „Aus der Ferne, in der Nähe“. Samstag, 30.05.2020, 18 Uhr. Anschrift: Kurze Straße 6, 19399 Below.

Kunsthalle Below, „Fräulein Paula fährt Zug“. Lesung und Open Hour in Zusammenarbeit mit der AG Minimales Reisen. Freitag, 31.07.2020. Anschrift: Kurze Straße 6, 19399 Below.

„Literarisches Picknick“ – Lesung und mehr. Sonntag, 05.09.2021, 15 Uhr. Anschrift: Die Grüne Wiese am Ende der Kirchstraße, 54568 Gees. Kontakt: lesewiese@biskuitrollerückwärts.de.

„Spätsommerlesung“. Samstag, 18.09.2021 um 18 Uhr. Anschrift: Kunsthalle Below, Kurze Straße 6, 19399 Below.

„Tag der Bibliotheken“ – Autorenlesung von Frank Osthoff. Sonntag, 24.10.2021 um 16 Uhr. Anschrift: Stadtbücherei Leichlingen, Am Büscherhof 1, 42799 Leichlingen. Kontakt: buecherei@leichlingen.de

„Märchenmarkt“ – Märchenlesung für Groß und Klein. Samstag, 06.11.2021 vom Mittag bis zum Abend, jeweils zur vollen Stunde. Anschrift: Die Grüne Wiese am Ende der Kirchstraße, 54568 Gees. Kontakt: lesewiese@biskuitrollerückwärts.de

“Literatur um Acht” – Gastlesung. Donnerstag, 27.01.2022, 20 Uhr. Anschrift: “Das Ohr”, Ferkulum 8, 50678 Köln.

„Stusszucker“ – Lesung anläßlich der Buchmesse in Stockstadt. Sonntag, 08.05.2022, 15 Uhr. Anschrift: Altrheinhalle, Insel-Kühkopf-Str. 1, 64589 Stockstadt am Rhein.

„Fräulein Paula fährt Zug“ – Lesung anläßlich des Literarischen Picknicks der Geeser Lesewiese. Samstag, 30.07.22, 12.30 bis 17 Uhr. Anschrift: „Geeser Lesewiese“ – Die Grüne Wiese am Ende der Kirchstraße, 54568 Gerolstein-Gees.

„Bremen trifft Köln” – Eine Doppel-Lesung zusammen mit der Bremer Autorin Martina Burandt anläßlich der Ausstellung “Mit Farbtopf und Farbband”. Montag, 15.08.2022, 18.30 Uhr. Anschrift: SKM e.V., Werthmannstraße 3a, 50935 Köln-Lindenthal.

“Sommerlesung“. Frank Osthoff und Martina Burandt lesen in der Kunsthalle Below. Dienstag, 23.08.2022 um 18.30 Uhr. Anschrift: Kunsthalle Below, Kurze Straße 6, 19399 Below.

„Fräulein Paula fährt Zug“ – Geschichten zum Schmunzeln. Sonntag, 12.02.2023 um 16 Uhr. Anschrift: Kulturdenkmal „Historischer Bahnhof Üxheim-Ahütte“, Bahnhofstraße 9, 54579 Üxheim-Ahütte.

„Einfach, weil es geht!“ – Lesung und Chansonabend, zusammen mit Gardenia Otterbourne. Freitag, 24.03.2023 um 19.30 Uhr. Anschrift: Kammermusiksaal Cologne – MuR 128, Hauptstraße 128, 50996 Köln-Rodenkirchen.

„Hufnagel wechselt die Spur“ – Kurzgeschichten. Sonntag, 12.11.2023 um 16 Uhr. Anschrift: Kulturdenkmal „Historischer Bahnhof Üxheim-Ahütte“, Bahnhofstraße 9, 54579 Üxheim-Ahütte.

“Einfach weil es geht” – Chansonabend und Lesung mit Gardenia Otterbourne, Holger Paul Buhl und Frank Osthoff. Klavierbegleitung: Kisum Eniem. Donnerstag, 29.02.2024 um 19.30 Uhr. Anschrift: Bürgerhaus Kalk, Kalk-Mülheimer Str. 58, 51103 Köln

 



Zeichnung: Jair Diederichs


Hufnagel und Andere, 23.11.2018

“Hufnagel hatte sich oft gefragt, warum eine Leihbücherei eine Konfession haben musste. Möglicherweise wollte der HERR nicht einfach jedem jedes Buch leihen. Offenbar hatte er da schlechte Erfahrungen gemacht.” (Aus: Katholische Leihbücherei Denzstraße)

Das Projekt Hufnagel schreitet voran und unser Held des Alltags taucht in weitere Absurditäten ab, um daraus in der Regel unbeschadet wieder hervorzutauchen. Das Amt für Mittelstreifen stattet einen Hausbesuch ab und der Erwerb georgischer Immobilien steht an.

Im operativen Bereich flattern Entwürfe des Zeichners Jair Diederichs ins Haus, es wird an Flyern gearbeitet, an Schrift und Sprache gefeilt. Bleiben Sie gespannt!

Textauszug: Copyright Frank Osthoff, Zeichnung: Jair Diederichs

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TippStelle @Düsseldorf, 05.09.2017

Der TippStellen-Tag in Düsseldorf geht anders an als die vorherigen Stationen des Schreibprojektes. Morgens arbeite ich noch, Tisch, Stuhl, Schreibmaschine schon im ältesten und vollgetanktesten Astra F der westlichen Welt. Mittags geht es dann auf die Piste, zunächst zum Park und Ride in Millrath. Lerne dabei, dass Düsseldorf quasi schon in Wuppertal liegt, TippStelle vermittelt eben auch geographische Details. Nächstes Lernfaktum: die App der Bahn kann zwar Regionalfahrkarten aufs Handy zaubern, nicht aber sinnvolle Bahnverbindungen. Der Park und Ride – Parkplatz liegt direkt an der S-Bahn, die unmittelbar zum Hauptbahnhof Düsseldorf fährt. Die App empfiehlt unbeirrt zunächst den Bus nach Sonstwo-Rath und dann noch zwei weitere ebenso unnötige Umsteigungen. Nach kurzer Verwirrung missachtet der Schreiberling die Bahn-App und fährt wie ihm der Schnabel gewachsen. Und das ist auch gut so.

In Düsseldorf geht es zur Heinrich-Heine-Allee, das ist schon Altstadt, Ziel ist die Andreasstraße mit dem Dominikanerkonvent St. Joseph, wo mich Bruder Irinäus schon erwartet. Ich lerne, dass Düsseldorf nicht Köln ist, denn in Köln darf ich an öffentlichen Orten Straßenkunst betreiben, jeweils eine halbe Stunde. In Düsseldorf darf ich gar nichts ohne amtliches Papier. Dominikanern sei dank, die Treppenanlage des Konvents ist Dominikanerbesitz und ich darf meine TippStelle dort aufbauen, mitten in der Altstadt, wunderbarer Blick auf die Barockkirche St. Andreas und das Kommödchen. Zwei Dinge sind schnell klar: dies hier ist Großstadt, ein sehr bunter Publikumsmix. Und: der Düsseldorfer ist neugierig, offen und bemerkenswert interessiert. Ich habe sehr viel Freude, bin im Gespräch. Die dazwischen freibleibende Zeit bis zum dann doch beginnenden leichten Regen reicht für einige Textskizzen. Aber ich habe ja noch „Höheres“ im Sinn.

Bruder Irinäus begleitet mich mit dem wichtigen Hauptschlüssel Treppe um Treppe, an der Orgelempore vorbei, bis hoch unter das Dach von Sankt Andreas. Ein riesiger Raum. Oberhalb der freiliegenden Gewölbekappen ein Geflecht von Holzlattengängen, die den Raum begehbar machen. Ich postiere die TippStelle zentral, neben dem Glockenturm, mit einem guten Blick in den Raum. Bruder Irinäus warnt vor dem Glockengeläut in zwei Stunden, das zum Abendgottesdienst rufen wird. Ich merke mir, vor der Ertaubung um 17.45 Uhr vorsorglich den Raum zu verlassen. Bruder Irinäus geht, ich bleibe. Ich mache mich mit dem Raum vertraut, zwei Fenster auf. Licht, Luft, Schreibmaschine, komplett. Die Bürozeit beginnt, das Textfragment ruft. Heute ist Gabriele schlecht gelaunt, sie hakt hier und da. Aber es läuft. Dann tritt der TippStellen-Effekt ein. Das Testfragment bockt, lockt, lohnt. Erfordert Meißelei, Streichungen, Umdenken. Die Zeit saust. Um 17.30 Uhr bin ich fast im Streß. Den kleinen Text konnte ich bezwingen, sogar mit einem Augenzwinkern abschließen. Aber ich möchte ihn noch für die Dominikaner ins Reine tippen, aufräumen, TippStelle zusammenfalten, vor der Glockenertaubung fliehen.. Doch es passt. Das Geläut im Glockenturm ist dann auch doch gar nicht so arg.

Unten vor der Kirchen komme ich noch mit Bruder Irinäus ins plaudern, dann begebe ich mich auf den Rückweg. Ein wenig müde, aber sehr dankbar.

Bild: A. Fischer